„Papa! Ich seh’ nichts.“ Ein kleiner Junge steht in der Gruppe der Schaulustigen. Mit Mühe und Not können die Einsatzkräfte die Menschenmenge zumindest soweit zurückhalten, dass die Rettungsarbeiten nicht behindert werden. Der etwa 30jährige Mann, selbst den Kopf reckend, nimmt seinen fünfjährigen Sohn auf die Schultern. Er gewährt dem Jungen vollen Einblick auf eine Situation, die selbst Profis erst verarbeiten müssen.
Solche oder ähnliche Szenen hat fast jede Einsatzkraft von Feuerwehr, THW, Rettungsdienst und Polizei schon erlebt. Oftmals kann nicht eingegriffen werden, da kein Personal für diese Aufgabe bereitsteht. Lediglich ein kurzes Kopfschütteln, dann müssen sich die Helfer wieder um das akute Einsatzgeschehen kümmern.
Doch Moment. Akutes Einsatzgeschehen. Aufgabe der Helfer ist es, sich um Menschen zu kümmern, die sich in einer momentanen Notlage befinden, die Leben und Gesundheit der Betroffenen bedroht.
Und damit haben die Einsatzkräfte einen fünfjährigen Patienten mehr. Der kleine Junge befindet sich tatsächlich, ausgelöst durch die Unwissenheit seines Vaters, in einer akuten Notlage.
Während ein Erwachsener durch die beobachtende Distanz einen Schutz um sich herum aufbauen kann, ist dies dem Kind nicht möglich. Der seelisch stabile Erwachsene schützt sich vor emotionalen Gefahren durch das filternde Wissen, dass keine Gefahr für ihn besteht. Er betrachtet eher technisch interessiert den Ablauf.
Ein Kind kann diese Distanz nicht aufbauen. Unmittelbar und ungefiltert schlagen die Bilder, Geräusche und Gerüche auf den jungen Menschen ein.
Um eine leise Ahnung davon zu erhalten, ein kleines Experiment:
Schließen sie die Augen und versuchen Sie sich die Gerüche eines Verkehrsunfalles in Erinnerung zu rufen. Vielen wird dies gelingen. Sollten Sie allerdings emotional und/oder körperlich auf dieses Experiment reagieren und dabei an einen ganz bestimmten Einsatz denken: Suchen Sie Kontakt zu einem Notfallseelsorger. Was sie jetzt erlebten, war nicht beabsichtigt, zeigte aber auf, dass sie jenen Einsatz noch nicht verarbeitet haben. Sie helfen jedem anderen. Lassen Sie auch zu, dass Ihnen geholfen wird.
Reaktionen von Kindern
Kinder, die das Geschehen an Einsatzstellen sehen, müssen dies verarbeiten. Nur selten veranlassen Eltern, dass ihr Kind professionell betreut wird. Allein gelassen mit Eindrücken, die weder aufgearbeitet noch verstanden werden, bleibt dem Kind nur die Reaktion. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) hat bei Kindern in der Regel eine weit niedrigere Eintrittsschwelle als bei den meisten Erwachsenen.
Die Reaktion auf das Erlebte kann sich vielfältig äußern. Sei es durch wiederholende Handlungen im Spiel. Aber auch Verhaltensänderungen und Alpträume sind unter anderem möglich.
Erhält das Kind keine fachlich fundierte Unterstützung, kann es zu schwerwiegenden und lang andauernden Störungen kommen.
Eine weitere Gefahr besteht, wenn das Kind irgendwann selbst eine Verletzung erleidet. Nie aufgearbeitete Erinnerungen können dazu führen, dass das Kind selbst bei leichten Verletzungen übertrieben angstvoll, insbesondere auf notwendige Maßnahmen, reagiert.
Fazit
Kinder werden nicht erst durch die unmittelbare Beteiligung zu Patienten. Schon das Zusehen bei Rettungsarbeiten kann zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Dies ist aber der Bevölkerung weitgehend unbekannt. Einsatzkräfte müssen auch unbeteiligte Kinder schützen. Die Unfallstelle großzügig abschirmen und einschreiten, wenn Kindern freie Sicht auf die Rettungsarbeiten geboten wird.
Im letzten Fall sollten ausgebildete und erfahrene Kriseninterventionskräfte auf die Eltern und Kinder zu gehen. Die Eltern müssen informiert und den Kindern geholfen werden. Vielleicht kann ein Informationsblatt den Eltern in die Hand gegeben werden.
Zusätzlich noch die Frage, ob Schauübungen kleinere Kinder gefährden. Detaillierte Schminke und fachgerechte Arbeiten lassen den Unterschied zwischen Realität und Darstellungskunst verschmelzen. Können es sich die Rettungskräfte leisten, kleineren Kindern so etwas zuzumuten? Oder muss gehandelt werden?